Die Ernestina - zur Geschichte der Rintelner Universität

Vor rund 200 Jahren, nämlich am 10. Dezember 1809, erging per Dekret des Königs Jerome von Westfalen der Befehl, die Universität in Rinteln aufzulösen.
Damit fanden in Rinteln dann 189 Jahre einer wechselhaften Universitätsgeschichte ihr Ende.

1876 wurde dann schließlich das bis dahin mehr oder weniger leer stehende Gebäude abgerissen. Stehen geblieben ist die Universitätskirche. Die heutige Kirche der Reformierten Gemeinde Rinteln am Kollegienplatz.

Quelle: Die Universität Rinteln - 1927 gedruckt von der Firma Bösendahl

Nach einer kurzen Vorlaufzeit in Stadthagen wurde die Universität am 17. Juli 1621 mit einem feierlichen Gottesdienst in der Nikolai Kirche eröffnet. In seiner Eröffnungspredigt nennt Josua Stegmann die Universität das ‚Paradies des Fürsten Ernst’. Und getreu diesem Bild vergleicht er die vier damals üblichen Fakultäten (Philosophie, Medizin, Jura, Theologie) mit den vier Paradiesströmen.
Aus diesen Strömen des Wissens schöpfen nun die 'Herren Professoren', um damit die jungen Pflänzchen, sprich die 'Herren Studenten' zu begießen.
Dies Bild entspricht durchaus dem Bildungsideal der damaligen Zeit. Um das Kennen- und vor allem um das Auswendiglernen des vorhandenen Wissens ging es damals vor allem.

Quelle: Prospekt der Stadt Rinteln zur Universität Rinteln - der Academia Ernestina 1621 - 1810

 

Aufnahmebedingung an einer Universität war in der Regel lediglich das fließende Beherrschen des Lateinischen im gesprochenen Wort und in der Schrift.

Die Studenten waren im Durchschnitt etwa 14 bis 17 Jahre alt. Aber sie waren ‚Herren’. Und gegenüber den Bürgern der Stadt Rinteln benahmen sie sich auch als solche.

Zum Zeichen ihres Standes trugen sie Waffen und waren durchaus auch bereit, diese zu benutzen. Das brachte ihnen die Ablehnung der Rintelner Bürger ein. Zumal diese dem Treiben der Studenten hilflos zusehen mussten. Die Universität war gewissermaßen inmitten der Stadt ein eigener Staat mit Sonderrechten und Privilegien.

Fürst Ernst von Holstein-Schaumburg nach einem Gemälde von Johannes Rottenhammer 1621; Quelle: wikipedia.org/wiki/Ernst_(Schaumburg)

Fürst Ernst von Schaumburg-Holstein hatte sich sehr darum bemüht, an seiner Universität das Wissen seiner Zeit möglichst vielen Studenten vollständig und durch gute Professoren vermittelt zu präsentieren. Dazu gab er seiner Universität eine gesunde wirtschaftliche Ausstattung, zahlreiche und ausreichend dotierte Stipendien, so wie eine fortschrittliche Universitätsverfassung mit auf den Weg.

Mehr noch: in der damaligen Zeit des Konfessionalismus (das heißt, man studierte nur an einer Universität, deren Lehrer dem eigenen Glauben zugehörten) berief er sowohl lutherische wie calvinistische Hochschullehrer, um eine hohe Qualität der Lehre zu sichern.
Zur Erinnerung: 1621 hatte der 30 jährige Krieg bereits in Teilen des deutschen Reichs begonnen. Dieser Hinweis mag genügen, um die Kühnheit seines Unternehmens einzuschätzen.

Zwischen den katholischen Universitäten im Westen und mit Helmstedt als der nächsten lutherischen Universität im Osten konnte die Uni Rinteln auf ein gutes Einzugsgebiet für künftige Studenten hoffen. Zumal die nächsten lutherischen Universitäten im Norden in Rostock und Kopenhagen waren. Alle Voraussetzungen für eine glänzende Zukunft waren also gegeben. Nur kam es leider ganz anders.

Im Januar 1622 verstirbt Fürst Ernst und mit seinem Tod scheitert auch sein konfessionelles Experiment. Die calvinistischen Juristen verlassen Rinteln nach erbittertem Streit mit den lutherischen Theologen. Damit findet auch der Traum des Fürsten, an seiner Universität ein neues Staatsrecht zu entwickeln ein jähes Ende. Hatte er doch auch zu diesem Zweck an seiner Universität deutsches und römisches Recht parallel lesen lassen.

Quelle: Prospekt der Stadt Rinteln zur Universität Rinteln - der Academia Ernestina 1621 - 1810
  • 1623 berührt dann auch noch der 30 jährige Krieg die Stadt. Professoren und Studenten fliehen.
  • 1626/27 wütet die Pest in Rinteln, In einem halben Jahr fordert sie rund 700 Todesopfer. „Ach bleib mit deiner Gnade bei uns, Herr Jesu Christ“, dichtet Josua Stegmann damals für einen Choral.
  • 1630 – 1633 haben die Truppen Tillys in der Region die Oberhand. In Folge dessen wird das Universitätsgebäude wieder zum Kloster. Die Uni ist drei Jahre lang heimatlos.
  • 1640 stirbt das Fürstenhaus Schaumburg-Holstein aus. Es folgen sieben Jahre lang Erbstreitigkeiten. Solche ungeklärten Machtverhältnisse sind keine gute Voraussetzung für das Wachsen und Gedeihen einer Universität. Auch wenn sich fürstliche und machtvolle Frauen in der Region der Rintelner Universität freundlich zugewandt hatten.


Alles keine guten Voraussetzungen also für das Gedeihen einer Universität. Im Verlauf des 30 jährigen Krieges konnten natürlich auch die Güter und Schenkungen, die das wirtschaftliche Gerüst der Universität waren, nicht die Erträge erwirtschaften, die nötig gewesen wären, um das akademische Leben an der Uni aufrecht zu erhalten.

1647 klären sich wenigstens die politischen Machtverhältnisse. Rinteln kommt zu Hessen-Kassel. Und damit in einen Staat, der in Marburg bereits über eine Universität verfügt. Zudem ist Hessen-Kassel auf dem Weg in einen Militärstaat. Dem Militär wird die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen der Landesherren geschenkt. Konsequenterweise wird Rinteln zur Festung ausgebaut. Die etwa 100 Soldaten in Rinteln verschärfen für die Studenten das ohnehin schon schwierige Wohnungsproblem. Denn die Stadt kann sich aufgrund der ständigen Hochwassergefahr damals eben nicht ungehindert ausbreiten.
Und obwohl die Erträge der der Universität zugeordneten Güter und Mühlen wachsen, etwa bei der Mühle in Rinteln von 146 Rt. im Jahr 1654 auf 968 Rt. im Jahr 1801, hat die Universität nichts davon. Die Landesregierung belässt die Zuwendungen an die Universität auf dem Niveau des 30 jährigen Krieges und streicht die wachsenden Erträge selbst ein.

Zwischen 1680 und 1750 stagniert die Universität in Rinteln. Ab 1750 setzt dann nicht zuletzt aufgrund der langen Jahre dieser Stagnation ein rasanter Verfall ein.
Dies Schicksal teilt Rinteln übrigens mit vielen anderen territorial gebundenen und von ihrer Gründung her konfessionell geprägten Universitäten in ganz Deutschland. Auch wenn der Ruf Rintelns - nicht zuletzt auch durch die Briefe, die der in Rinteln unglückliche Professor Thomas Abbt an die berühmten Männer seiner Zeit geschrieben hat – in ganz Deutschland als „notorisch schlecht“ galt.
Der große Göttinger Orientalist und Gelehrte Michaelis beschreibt die Misere vieler Hochschulen kurz vor Auflösung der Rintelner Universität so: Viele Universitäten in Deutschland fristen ein kümmerliches Leben, da sie wirtschaftlich schlecht ausgestattet sind. In Deutschland gibt es zudem ein Überangebot von solch kleinen Universitäten mit schlechter Ausstattung. Darüber hinaus verhindere die damals übliche restriktive Hochschulpolitik notwendige Reformen. Aufgrund dieser Rahmenbedingen hätten die Universitäten dann konsequenterweise auch nicht die Kraft innere Reformen zu wagen und neue Impulse aufzunehmen.

Soweit also das Gutachten von Michaelis. Süffisant fügt er dann hinzu, dass gleichwohl aus Pietät gegenüber den ursprünglichen Stiftern und Vorfahren, wie auch aus persönlicher Eitelkeit die Landesherren nicht bereit sind, die Universitäten, die eigentlich nicht mehr lebensfähig sind, zu schließen. Ganz im Gegenteil. Wiegen sie sich doch in der Hoffnung, dass die Universitäten ihren Städten zu wirtschaftlicher Blühte und dem Land zu wirtschaftlichem Gewinn dienen.
Das ist aber mehr ein frommer Wunsch oder ein Wolkenkuckucksheim. Michaelis zeigt einen Teufelskreislauf an diesen Universitäten auf. Denn ihre wirtschaftlich schlechte Ausstattung führt dazu, dass nur schlechte bis mittelmäßige Professoren an ihnen lehren. Schlechte Professoren locken keine Studenten an. An solchen Universität studieren dann überwiegend nur Studenten, die über ein Stipendium verfügen. Solche Stundenten bringen keine Wirtschaftskraft in eine Stadt.

1801 studieren in Rinteln weniger als 30 Studenten. Ihnen stehen 11 Professoren gegenüber, die allerdings ihr Geld überwiegend woanders verdienen. Liest man zum Beispiel im erhalten gebliebenen Tagebuch eines damaligen Medizinprofessors, so fragt man sich, wann der zwischen Ritten und Patientenbesuchen eigentlich noch Zeit zum Unterrichten hatte.

Und so kommt es nach vielen Gutachten und einem eher halbherzigen Versuch, 1804 die Universität Rinteln doch noch zu retten, 1809 in französischer Zeit unter Jerome, dem Bruder Napoleons, zum Befehl, die Universität zu schließen. Das noch vorhandene Vermögen der Universität wird allen Schulen im Königreich Westfalen, aber vor allem den drei verbleibenden Universitäten Göttingen, Halle und Marburg als Studienfond zur Verfügung gestellt. Das Inventar und die Bibliothek werden langsam unter den Universitäten aufgeteilt. Was die nicht haben wollen, verbleibt in Rinteln und wird später dem Gymnasium ‚Ernestinum’ als Nachfolger des Universität ‚Ernestina’ übergeben.

Das ohnehin baufällige Universitätsgebäude wird 1875/6 bis auf die Universitätskirche, der heutigen reformierten Kirche, abgerissen.

Nach dem Ende der Franzosenzeit machen die Stadt Rinteln und die sich noch in Rinteln im Ruhestand befindlichen Professoren eine Eingabe an den Kasseler Landesherrn. Er möge die Universität doch wieder eröffnen. Der folgt jedoch einer Empfehlung, die sich auch in dem Gutachten des Professor Michaelis von der damaligen Spitzenuniversität Göttingen finden lässt. Man möge, so sagt er, den Städten lieber eine gute Lateinschule geben als eine schlechte Universität erhalten.

Und so kommt es dann auch in Rinteln.

1817 bekommt Rinteln mit dem Ernestinum ein ‚akademisches Gymnasium’. Das waren ganz besondere Schulen, die durchaus als Eliteschulen bezeichnet werden können. In ganz Hessen-Kassel gab es damals nicht mehr als ein halbes Dutzend solcher Schulen.  Die damaligen Schülerzahlen am Ernestinum  mit Schülern aus der Stadt und bisweilen auch  von weit außerhalb zeigen, dass man mit der Gründung des Rintelner Gymnasiums adäquat auf damals vorhandene bildungspolitische Notwendigkeiten und Bedürfnisse reagiert hat.

(Karin Gerhardt 2009)